Oral History: Archivmaterial zu Lord Henry Plumb

Die Einheitliche Europäische Akte

 

Lord Plumb zur Einheitlichen Europäischen Akte und den Herausforderungen, die das Europäische Parlament bewältigen musste

> Hier Transkript herunterladen

> Hier Videos herunterladen

 

Was ist die Einheitliche Europäische Akte?

 

Die Einheitliche Europäische Akte ist die wichtigste Änderung der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften. Sie wurde am 17. und 18. Februar 1986 in Luxemburg und Den Haag unterzeichnet und trat am 1. Juli 1987 in Kraft. Eigentlich war sie für den Wirtschaftsbereich gedacht, doch heute gilt sie als erster Schritt hin zur Angleichung auf dem Gebiet der Sozialpolitik.

Mit ihr wollte man die letzten Hindernisse beseitigen und mehr Vereinheitlichung erreichen, damit die europäischen Staaten wettbewerbsfähiger werden. Die Einheitliche Akte bahnte den Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion der Mitgliedstaaten, die sich zuvor damit begnügt hatten, im Rahmen des Europäischen Währungssystems zusammenzuarbeiten.

Mit ihr reformierte man auch die Arbeitsverfahren der Organe: Die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit galt nun für noch mehr Bereiche. Dank der Einheitlichen Akte konnten die Organe der Europäischen Gemeinschaft unmittelbar im sozialen Bereich eingreifen, und sie erhielten ein echtes Initiativrecht bei der Gesetzgebung. Die Akte sorgte außerdem dafür, dass die Organe nicht mehr nur die geltenden Gesetze der Mitgliedstaaten miteinander in Einklang brachten, sondern auch überstaatlich tätig sein konnten.

 

Meeting on the SEASitzung zur Einheitlichen Europäischen Akte © Europäische Gemeinschaften 1986 – Europäisches Parlament

 

Das Europäische Parlament und die Einheitliche Akte: Herausforderungen und Chancen

 

Schon im März 1987 setzte das Europäische Parlament auf Anregung seines Präsidenten Lord Plumb einen Nichtständigen Ausschuss für den Erfolg der Einheitlichen Europäischen Akte ein. Seine Aufgabe war, sich zu den Rahmenbedingungen zu äußern, die die Europäische Kommission mit ihrer Mitteilung „Die Einheitliche Akte muss ein Erfolg werden –  eine neue Perspektive für Europa“ festgelegt hatte.

 

EP Bericht

Bericht im Namen des Nichtständigen Ausschusses für den Erfolg der Einheitlichen Akte über die Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften „Die Einheitliche Akte muss ein Erfolg werden – eine neue Perspektive für Europa“, Straßburg, 4. Mai 1987 (PDF-Datei)

 

Trotz großen Zeitdrucks erarbeitete der nichtständige Ausschuss in weniger als drei Monaten mehrere Arbeitsdokumente und einen parlamentarischen Bericht, über den das Plenum am 13. Mai 1987 in Anwesenheit herausragender Persönlichkeiten wie Kommissionspräsident Jacques Delors und Ratspräsident Leo Tindemans sprach, nachdem es im Vorfeld ausführliche Diskussionen gegeben hatte.

 

Note, Commission and EP officials

Vermerk über eine Sitzung von Beamten der Kommission und des Europäischen Parlaments: Verbesserung des Informationsflusses im Hinblick auf die Einheitliche Europäische Akte, Luxemburg, 28. November 1987 (PDF-Datei auf Englisch)

 

Die Einheitliche Akte, die nur sechs Monate nach der Wahl von Lord Plumb zum Präsidenten in Kraft trat, veränderte die Befugnisse des Europäischen Parlaments von Grund auf. Mit ihr wurden zwei neue Verfahren eingeführt: das Zustimmungs- und das Mitwirkungsverfahren. Zustimmungsverfahren bedeutete, dass das Parlament beim Abschluss eines Assoziierungsabkommens der Europäischen Gemeinschaft seine Zustimmung geben musste. Dieses Verfahren gab dem Parlament ein Mitspracherecht bei der Verabschiedung von Gemeinschaftsrechtsakten. Es brachte auch seine übrigen parlamentarischen Verfahren voran. Dem Parlament waren nun zwei Lesungen vorgeschlagener Rechtsvorschriften möglich. Seine Position im Geflecht der Institutionen wurde stärker.

 

Report on the SEA and the European Parliament

„Erprobung der neuen Verfahren: die ersten Erfahrungen des Europäischen Parlaments mit der Einheitlichen Akte“ – ein Beitrag von Richard Corbett für das internationale Symposium „Mehr als der klassische Parlamentarismus: das Europäische Parlament im Gemeinschaftssystem“ in Straßburg am 17. und 18. November 1988 (PDF-Datei auf Englisch)
 

Damit das Parlament möglichst viel aus seinen neuen Befugnissen machen konnte, musste es seine Arbeitsmethoden verändern. Es musste sich politisch und verwaltungstechnisch schnell umstellen. Nun war ein ausgefeilteres Gesetzgebungsprogramm nötig, und die Parlamentsausschüsse mussten sich auf die neuen Zeitpläne einstellen. Lord Plumb kommentierte all dies wie folgt:

 

„Das ist ein überaus wichtiges Thema für unsere Institution, die andernfalls die Gelegenheit hätte verstreichen lassen, ihre zunehmende Reife unter Beweis zu stellen. Unsere parlamentarischen Ausschüsse sind nun mit dem notwendigen Personal ausgestattet, und sie haben sich den engen neuen Zeitplänen zugewandt.“

 

Von Juni 1987 an wurden unter der Leitung des Parlamentspräsidenten und seines Generalsekretärs Enrico Vinci neue Bestimmungen ausgearbeitet und umgesetzt. Der folgende Vermerk illustriert dies:

 

Im November 1987 begann sich der Austausch mit der Kommission deutlich zu verbessern, wie aus dem Kurzprotokoll einer Sitzung des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen des Europäischen Parlaments hervorgeht. Ganz allgemein spiegelt dieses Dokument die tendenzielle Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Organen innerhalb des von den interinstitutionellen Vereinbarungen vorgegebenen strategischen Rahmens wider und wirft ein Schlaglicht auf die neuen Befugnisse des Parlaments, die sich aus der Einheitlichen Akte ergeben.

 

Note to EP officials and secretariat staff on the SEA
Vermerk für Beamte des Europäischen Parlaments und sonstige Bedienstete des Sekretariats: Inkrafttreten der Einheitlichen Akte und der neuen Bestimmungen der Geschäftsordnung Straßburg, 7. Juli 1987 (PDF-Datei auf Englisch)
 

Zu der Herausforderung, vor die die Umsetzung der Einheitlichen Akte das Parlament stellte, bemerkte Lord Plumb mit einem gewissen Maß an Stolz und Genugtuung dies:

 

„Alle betroffenen Abgeordneten und Beamten mussten einen Sprung ins kalte Wasser wagen, und dass es dem Parlament gelungen ist, sich erfolgreich und ohne große Probleme an die neuen Regeln anzupassen, ist meiner Meinung nach eine große Leistung.“

 

Mehr zu diesem Thema

 

Feierliche Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte