Der Bestand von Josep Borrell Fontelles


Josep Borrell FontellesWahl des EP-Präsidenten Josep Borrell Fontelles während der Plenarsitzung in Straßburg © Europäische Union 2004 – Europäisches Parlament

„Ich gehöre [...] weder dem alten noch dem neuen Europa an. Vielmehr bin ich einfach ein Europäer, der Etikettierungen ablehnt, die unsere Spaltung weiter fortschreiben.“

Biografie

Josep Borrell Fontelles ist spanischer Staatsangehöriger und wurde am 24. April 1947 in La Pobla de Segur geboren. Er ist ausgebildeter Luftfahrttechniker und Doktor der Wirtschaftswissenschaften und verfügt über Masterabschlüsse in angewandter Mathematik und Energiewirtschaft. Er war als Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Complutense Madrid tätig.

Er ist Mitglied des Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und war während seiner Amtszeit im EP Mitglied der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament (SPE).

Er ist derzeit Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Europäischen Kommission.

 

Politische Ämter

•   1979–1982: Mitglied der Regionalregierung von Madrid, zuständig für Finanzpolitik
•   1982–1984: Generalsekretär für Haushalt in der ersten Regierung Felipe González
•   1984–1991: Staatssekretär für Finanzen
•   1991–1996: Zweimal Minister für Öffentliche Bauten, Verkehr, Umwelt und Telekommunikation
•   1986–2004: Mitglied des Abgeordnetenhauses für den Wahlkreis Barcelona
•   1999–2004: Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses für europäische Angelegenheiten
•   2002–2003: Mitglied des Europäischen Konvents als Vertreter des spanischen Parlaments
•   2004: Leiter der spanischen sozialistischen Delegation im EP nach den Wahlen vom Juni
•   2004–2007: Präsident des Europäischen Parlaments
•   2007-2009: Mitglied des Europäischen Parlaments, Vorsitzender des Entwicklungsausschusses
•   2010-2012: Präsident des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz
•   2018-2019: Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Europäische Union und Entwicklungszusammenarbeit
•   seit 2019: Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Europäischen Kommission

 

Was sich im Archiv befindet

Das Archiv des Kabinetts von Josep Borrell Fontelles umfasst über 3 500 Elemente in über 700 Akten, die sich auf die einzelnen während der Amtszeit des Präsidenten behandelten Verfahren beziehen. Sie sind nach den verschiedenen während der Amtszeit des Präsidenten (2004–2006) ausgeführten Tätigkeiten geordnet und bestehen aus drei Seriengruppen (administrative und rechtliche Aufgaben sowie politische Aufgaben, die in Tätigkeiten des Kabinetts und Außenbeziehungen unterteilt sind).

Dieser Bestand enthält Dokumente auf Papier, Fotos, elektronische Dokumente, Tonaufnahmen und Videos.

Administrative und rechtliche Aufgaben

PE6 P1 A00/ADJU

Diese Seriengruppe enthält Dokumente betreffend die Beziehungen mit dem Generalsekretariat des Europäisches Parlaments und mit all seinen Generaldirektionen und außerdem mit dem Juristischen Dienst. Zwei weitere Serien beziehen sich erstens auf Finanzressourcen (Mittelbewirtschaftung und Haushaltsführung) und zweitens auf Immobilien (Strategie und Verwaltung).

Politische Aufgaben: Interne Beziehungen

PE6 P1 B00/RINT

Diese Seriengruppe besteht aus einer einzigen Serie (B10/CABI), die sich auf die Tätigkeit des Kabinetts des Präsidenten bezieht, und enthält insbesondere Vermerke und Schreiben, die dieses Kabinett verfasst, erhalten oder erstellt hat, sowie verschiedene Pressespiegel. In der Akte „Fotoaufnahmen von Josep Borrell Fontelles", die seine Wahl zum Präsidenten des EP (Straßburg, 20. Juli 2004) dokumentieren, wird einer der Höhepunkte seiner Amtszeit in Bildern gezeigt.

Politische Aufgaben: Außenbeziehungen

PE6 P1 C00/REXT

Die erste Unterserie zur Tätigkeit des Präsidenten als Vertreter der Institution in ihren Außenbeziehungen enthält vier große Aktensammlungen mit Reden und Fotoaufnahmen des Präsidenten, Pressemitteilungen und schließlich Unterlagen, Artikel aus der Presse und Interviews. Die folgenden beiden Unterserien beziehen sich auf offizielle Treffen mit bzw. Besuche von Vertretern von Mitgliedstaaten und Drittländern. Die vierte Unterserie bezieht sich insbesondere auf die Organisation und Verleihung des Karlspreises. Die letzte Serie betrifft die Beziehungen zwischen dem Kabinett des Präsidenten und den Mitgliedstaaten, wenngleich diese Akten derzeit nur Deutschland und Österreich abdecken.

Reflexionen der Präsidenten des Europäischen Parlaments: Josep Borrell Fontelles

Das Amt des Präsidenten des Europäischen Parlaments (EP) ist eine privilegierte Stellung. Sie verschafft Einblick in das Geschehen in der Europäischen Union und in alle Angelegenheiten der globalisierten Welt, die sich sämtlich in der Tätigkeit des EP widerspiegeln.

Diese 30 Monate waren voller bewegender Momente – die EU-Erweiterung, die Ablehnung des Verfassungsvertrags und die Suche nach Lösungsalternativen, die Beziehungen zu unseren näheren und entfernteren Nachbarn und die neuen Probleme mit der Einwanderung, der Energiefrage und dem Terrorismus. Daher war meine Tätigkeit als EP-Präsident die aufregendste Erfahrung meines politischen Lebens, und es ist nicht einfach, darüber Bilanz zu ziehen.

Das Europäische Parlament ist die einzige EU-Institution, die von den Bürgern direkt gewählt wird und ist deshalb der Inbegriff des demokratischen Prinzips in der institutionellen Struktur der EU. Es verfügt zwar noch nicht über alle klassischen Vollmachten parlamentarischer Versammlungen, etwa zur Verabschiedung von Steuern, übt jedoch wichtige Gesetzgebungs-, Haushalts- und Kontrollfunktionen aus. Dazu bedient es sich einer stark konsensgeprägten politischen Dynamik, die sich grundsätzlich vom Vorgehen der nationalen Parlamente unterscheidet, in denen ein vom Wesen her konfliktgetragenes Verhältnis zwischen Regierung und Opposition vorherrscht.

Im Unterschied zum Rat, in dem die nationalen Interessen der Mitgliedstaaten vertreten werden und sich gegenüberstehen, steht das EP für die gemeinsamen Interessen der Bürger der Europäischen Union, ist seine Aufgabe die Suche nach einem Konsens für die gemeinschaftlichen Politikbereiche. Ich glaube wirklich, dass diese Aufgaben im Laufe der sechsten Wahlperiode, in der das EP politisch gereift ist, an Kraft gewonnen haben.

Die Erweiterung war eine sehr wichtige Besonderheit meiner Präsidentschaft. Am 20. Juli 2004 stand ich an der Spitze eines Parlaments mit 732 Abgeordneten aus 25 Ländern, die 163 politische Parteien vertraten und sich in zwanzig offiziellen Sprachen äußerten. Am 1. Januar 2007 waren es dann mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens 785 Abgeordnete, und zusammen mit dem Gälischen wird die sprachliche Vielfalt nunmehr von 23 Sprachen geprägt.

European Parliament President Josep Borrell FontellesGruppenfoto der neuen bulgarischen und rumänischen Beobachter © Europäische Union 2005 – Europäisches Parlament

Darüber hinaus waren zu diesem Zeitpunkt 60 % der Abgeordneten neu im EP; 168 von ihnen kamen aus den 10 neuen Mitgliedstaaten. Ich war selbst ein „Neuling“ und mich erfasste ein gewisses Schwindelgefühl in Anbetracht der Größenordnung der Veränderungen und der Komplexität der Aufgaben einer Institution, die nun ganz anders geartete politische Erfahrungen aufnehmen musste. Doch das erweiterte EP bestand diese Probe glänzend und übte seine Tätigkeit mit überraschender Normalität aus, was der Arbeit der Dienste und der Mitarbeiter, insbesondere aber des ehemaligen Generalsekretärs Julian Priestley, des wahren Urhebers dieses Erfolgs, zu verdanken war.

Neben dieser großen strukturellen Veränderung erlebten wir konkrete Momente von besonderer Bedeutung. Zu diesen zählte – vielleicht als einer der wichtigsten, zumindest wenn es nach dem Medieninteresse geht – der Prozess der Amtseinführung der Kommission Barroso im Wege der Anhörungen („Hearings“) der designierten Kommissare, die in der Rücknahme eines Vorschlags kulminierten, weil als sicher galt, dass dieser vom EP abgelehnt würde.

In diesem Prozess festigte das EP seine politische Stellung und war nicht mehr der „Papiertiger", als der es von vielen bezeichnet worden war. Es wagte, von den Befugnissen, die ihm in den Verträgen zuerkannt worden waren, Gebrauch zu machen, ohne dadurch auch nur einmal eine Funktionskrise der EU heraufzubeschwören. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei der Anhörung der Kommissare nicht um eine bloße Formsache und beugten sich die Abgeordneten nicht einfach nur den Anweisungen der Regierungen der Mitgliedstaaten, wie viele angenommen hatten. Seit der Ablehnung des ersten Vorschlags für die Kommission Barroso, bei der in Wirklichkeit nur eines der vorgeschlagenen Mitglieder beanstandet wurde, gilt das Parlament nicht mehr als Ort des „Tohuwabohus“ oder als unnützer „Talking Shop“.

Schon damals pflegte ich zu sagen: Einer aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Institution kann man nicht Befugnisse unter der Voraussetzung übertragen, dass diese nicht wahrgenommen werden. Das EP hat von seinen Rechten im Rahmen der demokratischen Normalität Gebrauch gemacht, und mit dem auf diese Weise gewonnenen Einfluss hat sich seine Rolle innerhalb des institutionellen Dreigespanns der Union gefestigt.

Diesem polemischen Moment muss ich die Erinnerung an zwei weitere Augenblicke hinzufügen, von denen einer ganz besonders feierlich und positiv war, der andere dagegen zutiefst traurig.

Der erste war die Unterzeichnung des Verfassungsvertrages im glanzvollen Saal der Horatier und Curiatier auf dem Römischen Kapitol. Dort nutzte ich im Namen des Parlaments die Gelegenheit, die anwesenden Staats- und Regierungschefs an den im Zuge der Entwicklung der EU zurückgelegten Weg von Rom nach Rom zu erinnern. Da wir damals nicht wussten, dass der Vertragstext bei den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden Schiffbruch erleiden würde, war das für den damaligen Augenblick der Höhepunkt der europäischen politischen Bestrebungen, die heute leider etwas abgeschwächt sind.

Der zweite Augenblick war der, an dem ich den in der Plenarsitzung anwesenden Abgeordneten im Juli 2005 das tragische Ausmaß der terroristischen Attentate in London bekannt geben musste, die für mich stark die Erinnerung an die Anschläge in Madrid wachriefen.

Es gab andere Momente von politischer Bedeutung, die ich hier nicht alle nennen kann. Dazu gehörte die Szene auf dem EU-Russland-Gipfel in Lahti, Finnland, als ich dem neben mir sitzenden Präsidenten Putin sagen musste, dass Europa die Menschenrechte für die Energieversorgung nicht aufgeben darf. Oder meine nur wenige Stunden zeitversetzten Ansprachen vor der Knesset in Jerusalem und der Palästinensischen Nationalversammlung in Ramallah. Oder als ich in Kairo der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer vorstand und wir von dieser Stelle aus wichtige Vermittlungsarbeit im Konflikt um die dänischen Mohammed-Karikaturen leisteten. Oder als dann schon am Ende meiner Amtszeit die Parlamentarische Versammlung Eurolat gegründet wurde, die uns mit Lateinamerika verbindet. Ich habe mich sehr für dieses Projekt eingesetzt, das ich im Wettlauf gegen die Zeit vor dem Hintergrund nicht weniger Bedenken voranbrachte. Als kurzzeitiger Kopräsident spürte ich die Befriedigung, eine höhere Aufmerksamkeit des EP für Lateinamerika erreicht zu haben.

European Parliament President Josep Borrell FontellesPlenarsitzung der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum (Euromed). Abgebildet (von links nach rechts): Dietmar Nickel, Josep Borrell Fontelles, Fouad Mebazaa © Europäische Union 2006 – Europäisches Parlament

Ich konnte auch feststellen, welch wichtige Rolle Europa dank seiner internationalen Kooperationsprojekte vom Nigerbogen bis in die kolumbianischen Berge und auch dank seiner militärischen Präsenz im Interesse der Friedenserhaltung spielt, beispielsweise im Libanon, wohin ich mich unmittelbar nach den Bombenangriffen vom Sommer 2006 begab, um den Premierminister ins EP einzuladen.

In der Welt herrscht ein reges Interesse an Europa. Das EP hat versucht, sich ihm zu stellen, um das zu stärken, was man unter dem Begriff parlamentarische Diplomatie kennt. Zum Beispiel wurden Wahlbeobachter in 26 Länder entsandt, von denen besonders die Ukraine, Palästina, Afghanistan, der Kongo und Venezuela zu nennen sind. Es hat sich für die Welt zu einem wichtigen öffentlichen Forum entwickelt, wo 15 Staatschefs aus Nichtmitgliedstaaten der EU gesprochen haben, unter ihnen Evo Morales und Mahmud Abbas.

European Parliament President Josep Borrell FontellesEP-Präsident Josep Borrell Fontelles (rechts) trifft den Präsidenten der Palästinensischen Behörde Mahmud Abbas (links) in Straßburg © Europäische Union 2006 – Europäisches Parlament

Ich möchte an eine Reihe von Rechtsetzungsvorhaben erinnern, bei deren Abwicklung die Rolle des EP deutlich wurde.

Zu ihnen gehörte die REACH-Richtlinie über chemische Substanzen (eines der technisch kompliziertesten Gesetzeswerke, die das Europäische Parlament je passiert haben), bei der die vom EP vorgebrachten Änderungsvorschläge den Grundsatz der Verantwortung der Industrie und dem Verbraucherschutz Rechnung trugen. Dabei konnte das schwierige Gleichgewicht zwischen dem Vorsorgeprinzip und den mit der Wettbewerbsfähigkeit verbundenen Erfordernissen hergestellt werden.

Das EP spielte auch eine entscheidende Rolle bei der Ablehnung der Richtlinie über Software-Patente (als das Parlament zum ersten Mal in seiner Geschichte einer Richtlinie im Verfahren der Mitbestimmung in zweiter Lesung seine Zustimmung verweigerte), der Richtlinie für Hafendienstleistungen, die von der Europäischen Kommission endgültig zurückgezogen wurde, vor allem aber der als „Bolkestein-Richtlinie“ bekannten Richtlinie über die Liberalisierung von Dienstleistungen, die den Mythos vom „polnischen Klempner“ begründete und nach ihrer Erörterung im Parlament maßgeblich geändert wurde.

Bei dieser Richtlinie übernahm das EP unausgesprochen die Rechtsetzungsinitiative, die den Verträgen zufolge der Kommission vorbehalten ist. Angesichts der Schwierigkeiten im Rat, die Richtlinie zu ändern, und der Unfähigkeit der Kommission, sie zurückzuziehen, wurde zugelassen, dass das EP die Aufgabe übernahm, in Anbetracht all der widersprüchlichen Interessen und des großen Durcheinanders, das der Text und seine Auslegungen ausgelöst hatten, nach einem Konsens zu suchen. Diese schwierige Aufgabe bewältigte das EP mit Überlegung und ging dabei einen Konflikt zwischen den neuen und einigen alten Mitgliedstaaten aus dem Weg.

Die Rechtsetzungsaufgabe macht insgesamt den Erfolg eines Parlaments aus, dem es gelingt, Einigungen über Gesetzesvorschläge der Kommission herbeizuführen, in denen vielleicht der nach der Erweiterung entstandenen neuen Situation nicht genügend Rechnung getragen wird und die im Rat festgefahren sind. Es erfüllt mich mit großer Genugtuung zu sehen, wie die konstruktive und wirkungsvolle neue Rolle des EP als EU-Institution anerkannt wird, das seine Arbeitsweise sehr verbessert und in diesen Jahren an politischem Gewicht gewonnen hat.

Das EP wird heute vom Europäischen Rat in höherem Maße anerkannt. Bei jedem seiner Treffen hatte ich die Gelegenheit, mich im Namen des Parlaments an die Staats- und Regierungschefs der EU zu wenden, und konnte dabei feststellen, dass dem EP immer mehr Gehör geschenkt wurde und dass es inzwischen häufiger zu Beratungen eingeladen wird.

Auch der Schutz der demokratischen Werte und der Menschenrechte hat sich als Identitätsmerkmal des EP gefestigt. Das ist ein zentrales Thema in den Beziehungen zwischen dem EP und anderen Ländern. Daran habe ich – bisweilen unter schwierigen Voraussetzungen – bei all meinen offiziellen Besuchen erinnert. Das EP hat auch wichtige Initiativen ergriffen, etwa zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses zu den mutmaßlichen illegalen Aktivitäten der CIA in der EU. Dadurch wurde den Mitgliedstaaten in Erinnerung gerufen, wie wichtig es ist, an den demokratischen Werten, auf denen unsere Union beruht, festzuhalten.

Nach dieser Erfahrung glaube ich, dass das Europäische Parlament als Symbol der repräsentativen Demokratie in Europa und als Keimzelle einer supranationalen Demokratie seine Arbeit weiter verbessern muss, um zur erneuten Lancierung des europäischen Projekts beizutragen. Dieses Projekt lässt sich nicht ohne die Bürger, d. h. nicht ohne eine stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente, und nicht ohne eine stärkere Rolle des EP gestalten.

Josep Borrell Fontelles Signature