Der Bestand von Lord Plumb


European Parliament President Lord Henry PlumbLord Plumb, direkt gewählter Präsident des Parlaments, 2. Wahlperiode 1987-1989 © Europäische Gemeinschaften 1987 – Europäisches Parlament

„Ich wurde als Engländer geboren. Ich werde als Europäer ... als englischer Europäer sterben.“

Biografie

Charles Henry Plumb wurde am 27. März 1925 in Warwickshire im Vereinigten Königreich geboren. Er war Landwirt und Politiker und trug den Titel Baron of Coleshill in the County of Warwickshire. Ihm wurden mehrfach Ehrendoktorwürden verliehen. So verfügt er über Ehrendoktorate der Naturwissenschaften des Cranfield Institute of Technology, der De Montfort University und des Silsoe College of Technology, ein Ehrendoktorat der Rechtswissenschaften der University of Warwick und ein Ehrendoktorat der Philosophie der University of Gloucestershire. Er wurde außerdem zum Ehrenmitglied des Europäischen Parlaments ernannt und war Mitglied des Oberhauses im Vereinigten Königreich.

Lord Plumb verstarb am 15. April 2022.

Politische Ämter

•    1964–1965: Vizepräsident der National Farmers Union of England and Wales (NFU)
•    1966–1969: Stellvertretender Präsident der NFU
•    1970–1979: Präsident der NFU
•    1973: Erhebung in den Ritterstand durch Ihre Majestät Königin Elisabeth II
•    1975–1977: Vorsitzender des Ausschusses der berufsständischen landwirtschaftlichen Organisationen der Europäischen Gemeinschaften (COPA)
•    1979–1982: Präsident des Internationalen Verbands landwirtschaftlicher Erzeuger
•    1979–1999: Mitglied des Europäischen Parlaments für die Cotswolds
•    1979–1982: Vorsitzender des Landwirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments
•    1982–1987: Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Demokraten
•    1987–1989: Präsident des Europäischen Parlaments
•    1987–2000: Vorsitzender des Internationalen Rats für Landwirtschaft, Lebensmittel und Handel (IPC)
•    1987: Ernennung zum Baron of Coleshill in the County of Warwickshire
•    1994–1997: Stellvertretender Vorsitzender der Europäischen Volkspartei
•    1994–1997: Vorsitzender der britischen Konservativen im Europäischen Parlament
•    1994–1999: Ko-Vorsitzender der Paritätischen Versammlung AKP-EU
•    1999: Ehrenmitglied des Europäischen Parlaments
•    2001–2006: Vorstandsvorsitzender des Vereins der ehemaligen Mitglieder des Europäischen Parlaments

Was sich im Archiv befindet

Das Archiv des Kabinetts von Lord Plumb enthält bislang über 1 800 Akten mit über 14 900 Elementen. Diese Dokumente sind nach den einzelnen Verfahren und entsprechend den verschiedenen während der Amtszeit des Präsidenten ausgeführten Tätigkeiten in Akten geordnet.

Persönlichkeit des öffentlichen Lebens

PE2 P2 100/PERS

Diese Seriengruppe besteht aus sieben Serien zu Themen, die sich auf die Rolle des Präsidenten als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens beziehen. Die größte Serie bezieht sich auf Schirmherrschaften und Veranstaltungen, die Darstellung in den Medien, die Verteidigung der Menschenrechte und schließlich auf den Austausch mit Privatpersonen.

Präsidentschaft des Parlaments

PE2 P2 200/PRES

Diese Seriengruppe besteht aus acht Serien zu Themen, die sich auf die politischen Aufgaben des Präsidenten beziehen.

Die erste Serie, „Ausübung der Präsidentschaft“, betrifft die Tätigkeit des Präsidenten während der Straßburg-Sitzungen sowie mit dem Präsidium und dem erweiterten Präsidium. Diese Serie spiegelt auch die verschiedenen Veranstaltungen und Treffen wider, die die Amtszeit von Lord Plumb kennzeichneten, etwa Anhörungen und Höflichkeitsbesuche, den Empfang prominenter Persönlichkeiten und offizielle Besuche. Die folgenden vier Serien decken die verschiedenen Beziehungen des Präsidenten ab: interinstitutionelle (Rat, Kommission und andere Einrichtungen der Gemeinschaft), interparlamentarische (Mitgliedstaaten und Drittländer), Außenbeziehungen (Mitgliedstaaten, Drittländer, internationale Organisationen, nationale politische Parteien und Gewerkschaften usw.), zur Presse und zur Öffentlichkeit (insbesondere Förderanträge, Appelle zur Verteidigung der Menschenrechte, Tätigkeiten des EP und der Gemeinschaft).

Die vorletzte Serie enthält Dokumente betreffend die Beziehungen mit einigen politischen Organen des Europäischen Parlaments, wie das Kollegium der Quästoren, die parlamentarischen Ausschüsse und Delegationen und die Fraktionen. Die letzte Serie bezieht sich allein auf das Kabinett des Präsidenten, vor allem unter dem Aspekt seiner Organisation, seiner Funktionsweise und der Post (chronologisch abgelegt nach eingehender und ausgehender Post).

Sekretariat des Parlaments

PE2 P2 300/SECR

Diese Seriengruppe enthält Dokumente in Bezug auf die administrativen und rechtlichen Aufgaben des Kabinetts des Präsidenten, d. h. dessen Beziehungen mit den verschiedenen Generaldirektionen und dem Juristischen Dienst. Die größte Serie betrifft die Beziehungen mit dem Rechtsberater, aber auch mit den Generaldirektionen: die GD Information und Öffentlichkeitsarbeit, die GD Verwaltung, Personal und Finanzen (insbesondere die Serie „Personalakten“, „Offene Stellen“, „Besetzung offener Stellen“ und „Protokoll“) sowie schließlich die GD Forschung und Dokumentation.

Personalvertretung und Fraktionen

PE2 P2 400/CPGP

Die letzte Serie enthält die Serien betreffend die Beziehungen mit der Personalvertretung, den Gewerkschaften und schließlich mit den Fraktionssekretariaten.

Anhang

Schließlich gibt es im Anhang noch eine Sammlung zur Welternährungskonferenz (Brüssel, 7.–8. April 1988).

Reflexionen der Präsidenten des Europäischen Parlaments: Lord Plumb

Beim Reflektieren der prägenden Momente meiner Amtszeit als Präsident des EP gingen meine Gedanken zuallererst zurück zu der Wahl, mit der diese eingeleitet wurde, da dies eine sehr spannende Angelegenheit mit ganz engem Ausgang war. Mein Konkurrent – und schließlich auch Nachfolger auf diesem Posten – Enrique Barón Crespo und ich führten unseren Wahlkampf mit vollem Einsatz, aber es gab dabei keine persönlichen Beleidigungen oder gar Beschimpfungen.

Nach meinem Sieg mit einem hauchdünnen Vorsprung von fünf Stimmen, gelang es uns, diese Freundschaft aufrecht zu erhalten. Wir hatten zwar unterschiedliche Auffassungen davon, wie genau wir uns „Europa“ vorstellten, engagierten uns aber gemeinsam dafür, dass Europas Institutionen im Dienste der Völker unseres Kontinents tätig wurden. Ich bin der Auffassung, dass unsere Politik, auf welcher Ebene auch immer, stets so funktionieren sollte und ich bedauere, dass dies nur selten der Fall ist.

European Parliament President Lord Henry PlumbDer ehemalige EP-Präsident Lord Plumb (links) gratuliert seinem neu gewählten Kollegen Enrique Barón Crespo (rechts) © Europäische Gemeinschaften 1989

Alle Präsidenten des EP seit 1979 können von sich behaupten, dass ihre Amtszeit mit einer Zeit wichtiger Veränderungen zusammenfiel. Darin kommt die Tatsache zum Ausdruck, dass sich unsere Institution, und das politische Europa insgesamt, ständig weiterentwickelt haben.

Kritiker mögen über das ideale Gleichgewicht zwischen Vertiefungs- und Erweiterungsaspekten dieses Prozesses argumentieren, doch eines ist unbestritten: Beides hat es gegeben, und wie unvollkommen jede Etappe auch immer gewesen sein mag, es sind doch große Fortschritte erzielt worden.

Einer der prägenden Momente meiner Amtszeit als Präsident des EP war mit einer der Entwicklungsetappen verbunden, die in der Geschichte des Parlaments und der Union von entscheidender Bedeutung waren, nämlich mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA).

Nach einer Periode relativer Stagnation Anfang der 80er-Jahre gelang es, mit Hilfe der EEA, den gemeinsamen Markt Europa in eine integrierte Wirtschaft zu verwandeln, was wiederum in Richtung der Union und zu den darauf folgenden Entwicklungsetappen führte.

European Parliament President Lord Henry PlumbEP-Präsident Lord Plumb bei der Plenarsitzung in Straßburg im November 1988 © Europäische Gemeinschaften 1988 – Europäisches Parlament

Ich bin stolz darauf, dass das Parlament eine wesentliche Rolle bei der Mobilisierung für den Binnenmarkt gespielt hat. Als die EEA in Kraft trat, genau sechs Monate nachdem ich Präsident geworden war, da wusste ich, dass im Parlament ein neues Zeitalter begonnen hatte. Schon sehr bald würden Rechtsetzungsvorschläge nach dem neuen System für zwei Lesungen vorgelegt werden, und sie müssten schnell und effizient behandelt werden, wenn unsere Institution nicht die Chance verlieren wollte, unsere wachsende Reife zu demonstrieren. Das erforderte eine rasche Umgestaltung sowohl auf politischer als auch auf Verwaltungsebene. Es musste ein viel anspruchsvolleres Legislativprogramm aufgestellt werden und die mit entsprechendem Fachpersonal besetzten sektoralen Ausschüsse des Parlaments konzentrierten sich auf die neuen und knappen Zeitpläne.

All dies war für sämtliche Beteiligte – Abgeordnete und Bedienstete gleichermaßen – ein völlig unbekanntes Terrain. Die Tatsache, dass es dem Parlament mit Erfolg gelang, sich auf die neuen Regelungen mit nur ganz wenigen Schwierigkeiten umzustellen, halte ich persönlich für eine wirkliche Errungenschaft.

Ich erinnere mich an drei Ereignisse danach, die, wie ich meine, veranschaulichen, dass die Außenwelt die erreichten Fortschritte zur Kenntnis genommen und zu akzeptieren begonnen hatte, dass „Europa“ nicht mehr nur eine Ansammlung von Ländern war, sondern eine Einheit, die ihr Embryonalstadium hinter sich gelassen hatte und ernst genommen werden musste.

Das vielleicht wichtigste dieser Ereignisse war mein offizieller Besuch als EP-Präsident in der Sowjetunion, als die sowjetische Führung beschlossen hatte, die Gemeinschaft als solche anzuerkennen und Beziehungen zwischen dem Obersten Sowjet und dem EP zu entwickeln. Damals konnten wir nicht wissen, dass das Ende des kommunistischen Imperiums nur noch wenige Jahre entfernt war, aber aus meinen Diskussionen mit dem Vorsitzenden Augusts Voss vom Obersten Sowjet und mit Staatspräsident Andrei Gromyko wurde klar ersichtlich, dass ein Teil der Veränderungen, die in Moskau bereits im Gange waren, eine neue Politik mit sich brachte, die der Europäischen Gemeinschaft und dem EP größere Bedeutung beimaß.

European Parliament President Lord Henry PlumbTreffen mit Andrei Gromyko, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, im Kreml im Rahmen eines Besuchs einer Delegation des EP nach Moskau unter der Leitung von EP-Präsident Lord Plumb und in Begleitung von Robert Ramsay © Europäische Union 2019 – Europäisches Parlament

Ein weiterer prägender Moment dieser Art war meine Anwesenheit bei einem Treffen der südamerikanischen Regierungschefs in San Juan, Costa Rica. Sie waren ähnlich wie die Gründungsväter Europas vor etwa dreißig Jahren bestrebt, Institutionen ins Leben zu rufen, mit deren Hilfe gemeinsame Ziele erreicht werden konnten (zwei Früchte dieser Bemühungen waren das Andenparlament und Mercosur). Was mich dabei am meisten beeindruckte, waren die Bewunderung, die diese Spitzenpolitiker dem „Unternehmen Europa“ zollten und ihre Wertschätzung für das Maß der von uns bereits errungenen Erfolge. Unser Abenteuer war einzigartig in der Geschichte der Politik und wir waren für andere zu einem Vorbild geworden.

Das dritte bedeutsame Ereignis, an das ich mich erinnere, war der Besuch von Papst Johannes Paul II., bei dem er eine Ansprache im Plenum des EP hielt. Dieser Besuch erlangte Berühmtheit wegen der dramatischen Konfrontation zwischen dem Papst als Gast des EP und Pfarrer Ian Paisley. Dieses Duell war ein wahres Geschenk für die Presse, auch wenn es nur wenige Sekunden dauerte und – da ich dies vorausgesehen hatte – der Zwischenfall stets unter Kontrolle gehalten wurde. Aber die tiefere Bedeutung des Besuchs war eine von außerhalb der Gemeinschaft kommende, erneute Anerkennung der Tatsache, dass das politische und institutionelle Europa eine Realität war, der nun in den internationalen Beziehungen Rechnung getragen werden musste.

Mit diesen drei Schlüsselerlebnissen aus meiner Amtszeit als Präsident möchte ich abschließend auf das Paradoxon aufmerksam machen, dass die Erfolge der EU sowie ihrer Institutionen oftmals für jene deutlicher erkennbar sind, die die Union von außerhalb betrachten. Die Herausforderung bleibt weiterhin dafür zu sorgen, dass diese Erfolge den Bürgerinnen und Bürgern Europas sichtbarer gemacht werden.

Lord Henry Plumb Signature