Die Menschen hinter den Namen der Gebäude des Europäischen Parlaments: Stefan Zweig


European Parliament Zweig Building, BrusselsDer Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel im Sommer - Zweig-Gebäude © Europäische Union 2020 – Europäisches Parlament

Ein österreichischer Schriftsteller und leidenschaftlicher Verfechter eines geeinten Europas in der Zwischenkriegszeit

Stefan Zweig war bereits überzeugter Europäer, als die Gründung der EU noch in ferner Zukunft lag. Dennoch wurde ihm erst vor kurzem die seltene Ehre zuteil, einem Gebäude des Europäischen Parlaments seinen Namen zu leihen.

Erst Anfang 2019 benannte das Parlament sein Atrium-Gebäude in der Rue d'Ardenne in Brüssel nach dem Literaten – eine angemessene Würdigung des bekannten Schriftstellers und Verfechters eines geeinten Europas, der sich gegen jegliche Form von übermäßigem Nationalismus stellte und den die Nationalsozialisten ins Exil zwangen. Aber wer war Stefan Zweig?

Im Gegensatz zu den anderen Würdenträgern, deren Namen auf diese Weise verewigt wurden, hat der 1881 geborene österreichisch-ungarische Schriftsteller keine direkte Verbindung zum Parlament. Er war weder Abgeordneter noch Politiker und machte sich auch nicht für ein gemeinsames Europäisches Parlament stark. Vielmehr war er Dramatiker, Journalist, Biograf und Schriftsteller. Sein Einsatz für ein geeintes Europa ist jedoch weitgehend unbekannt.

European Parliament Zweig Building, BrusselsDer Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel im Sommer - Zweig-Gebäude © Europäische Union 2020 – Europäisches Parlament

Das Erasmus-Programm

Zu den geistigen Gründervätern der Europäischen Union würden Zweig wohl nur wenige zählen. Seine ausgereifte Vorstellung einer gemeinsamen europäischen Zukunft war jedoch allgegenwärtig – sowohl in seinem regen Austausch mit anderen europäischen Intellektuellen als auch in den Vorträgen, die er auf dem gesamten Kontinent hielt. In seinen Worten schwang eine Sehnsucht nach einem geeinten Europa mit, das für ihn die Voraussetzung für eine friedliche Zukunft war. Zweig trat unter anderem der Paneuropa-Union Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergis bei, weil er wusste, dass dieser sich für die europäische Einheit einsetzte.

Stefan Zweig machte sich für eine europäische Identität als Bollwerk gegen den Aufstieg des Nationalsozialismus stark. Für ihn war die „Entgiftung“ Europas vom krankhaft nationalistischen Gedankengut ein wesentlicher Schritt hin zu einem geeinten Kontinent. Seine Rede „Die moralische Entgiftung Europas“ im Jahr 1932 enthielt einige bemerkenswerte Passagen: In dem Text sieht Zweig ein geeintes Europa vorher, das auf Hochschulaustausch beruht – und somit auf den Vorläufern des Erasmus-Programms.

Doch dieser Austausch soll nach Zweigs Vorstellung nicht nur Studierenden vorbehalten sein: Auch Beschäftigte von Regierungsbehörden sollten einige Monate bei entsprechenden Behörden in anderen europäischen Staaten verbringen können.

Eine überstaatliche Identität

Zu den Ideen Zweigs, der auch als Journalist tätig war, zählte die Einrichtung eines gemeinsamen europäischen Mediums – einer Zeitschrift oder sogar einer Tageszeitung, die mit demselben Inhalt in allen Sprachen Europas erscheinen sollte.

Seine Rede „Einigung Europas“ von 1934 enthielt konkrete Vorschläge für den Aufbau eines Europas der Europäer. Mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hatten seine Vorschläge aber nicht viel gemeinsam. Für Zweig war kultureller Austausch der Wegbereiter für einen solchen Wandel. Seiner Meinung nach sollte Kultur Europa verbinden, nicht Politik. Er sprach sich dafür aus, in Schulen Kulturgeschichte zu unterrichten, statt der Geschichte von Kriegen und Eroberungen. Die Jugend sollte dadurch Kultur als Allgemeingut kennenlernen.

Zweig war Humanist und befürwortete die Gründung von „Vereinigten Staaten von Europa“. Er war der festen Überzeugung, dass man eine überstaatliche Identität schaffen müsse – eine europäische Identität. Sie sollte ein positives Gegenstück zu der historischen Vorstellung einer „weißen Rasse“ sein, die von den radikalsten rechtsextremen Gruppen propagiert wurde. Stefan Zweig zeigte, dass ein anderes Europa möglich ist: ein Europa der Bürgerinnen und Bürger und der Kultur. Dieser Gedanke inspirierte ihn zu „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“, eines seiner heute wohl relevantesten Werke.

Voller Kummer über den Lauf des Krieges in Europa nahm Stefan Zweig sich 1942 im brasilianischen Exil das Leben.

European Parliament Zweig Building, BrusselsGebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel – Außenansicht – Zweig-Gebäude © Europäische Union 2021 – Europäisches Parlament