Der Bestand von Simone Veil


European Parliament President Simone VeilSimone Veil, Präsidentin des Europäischen Parlaments, im Februar 1980 im Plenarsaal in Straßburg © Europäische Gemeinschaften 1980

„Die uns einende Grundidee, nämlich die, dass ohne eine immer stärkere Solidarität keines unserer Länder in der Lage sein wird, seine Stärke, seine Unabhängigkeit und vielleicht sogar seinen Weiterbestand zu sichern, ist im demokratischen Austausch zwischen den Wählern und den Gewählten fest verankert.“

Biografie

Simone Veil wurde am 13. Juli 1927 in Nizza im französischen Departement Alpes-Maritimes geboren. Im März 1944 wurde Veil nach Auschwitz deportiert und kam danach nach Bergen-Belsen, wo sie bis Januar 1945 interniert war. Danach ging sie nach Paris, wo sie Rechtswissenschaften studierte und das Institut d’études politiques de Paris absolvierte. 1956 bestand sie die Aufnahmeprüfung der französischen Justiz und arbeitete danach im Justizministerium. 1969 trat sie in die Politik ein und gehörte dem Kabinett von Justizminister René Pleven an. Zehn Jahre später, im Jahr 1979, wurde Veil die erste Präsidentin des Europäischen Parlaments. Sie unterstützte zahlreiche europäische Vereinigungen wie den Europäischen Fonds für freie Meinungsäußerung und die Stiftung für Wissenschaft und Kultur in Europa, deren Ehrenpräsidentin sie war. Am 20. November 2008 wurde sie zum Mitglied der Académie Française gewählt.

Sie verstarb am 30. Juni 2017.

Politische Ämter

  • 1974–1979: Französische Ministerin für Gesundheit, soziale Sicherheit und die Familie
  • 1979–1993: Mitglied des Europäischen Parlaments (Liberale und Demokratische Fraktion, später umbenannt in Liberale und Demokratische Reformfraktion)
  • 1979–1982: Präsidentin des Europäischen Parlaments
  • 1982–1984: Vorsitzende des Rechtsausschusses
  • 1984–1986, 1989–1992: Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Verbraucherschutz
  • 1986 und 1990–1992: Mitglied des Politischen Ausschusses
  • 1992–1993: Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit und des Unterausschusses Menschenrechte
  • 1993–1995: Französischen Ministerin für Soziales, Gesundheit und Städte; erste Frau in Frankreich auf einem hochrangigen Ministerposten
  • 1998–2007: Mitglied des französischen Verfassungsrats

Was sich im Archiv befindet

Der Bestand des Kabinetts von Simone Veil enthält über 19 000 Elemente in mehr als 2 700 Akten.

Die Unterlagen des Kabinetts von Simone Veil aus ihrer Amtszeit als Präsidentin sind nach den Tätigkeitsbereichen ihres Kabinetts geordnet und enthalten auch die Unterlagen ihrer drei Vorgänger (Cornelis Berkhouwer, Georges Spénale und Emilio Colombo).

Die Dokumente von Präsidentin Veil befinden sich in den folgenden vier Serien:

Persönlichkeit des öffentlichen Lebens

PE1 P1 100/PERS

Diese Seriengruppe besteht aus sechs Serien zu Themen, die sich auf die Rolle der Präsidentin als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens beziehen. Die größte Serie bezieht sich auf Schirmherrschaften und Veranstaltungen, die Darstellung in den Medien, die Verteidigung der Menschenrechte und auf die Unterstützung von Privatpersonen.

Präsidentschaft des Parlaments

PE1 P1 200/PRES

Diese Seriengruppe besteht aus acht Serien zu Themen, die sich auf die politischen Aufgaben der Präsidentin beziehen. Die erste Serie, „Ausübung der Präsidentschaft“, betrifft die Tätigkeit der Präsidentin während der Straßburg-Sitzungen sowie ihre Beziehungen mit dem Präsidium und dem erweiterten Präsidium. Diese Serie spiegelt auch die verschiedenen Veranstaltungen und Treffen wider, die Veils Amtszeit kennzeichneten, etwa Anhörungen und Höflichkeitsbesuche, den Empfang prominenter Persönlichkeiten und offizielle Besuche. Die folgenden vier Serien decken die verschiedenen Beziehungen der Präsidentin ab: interinstitutionelle (Rat, Kommission und andere Einrichtungen der Gemeinschaft), interparlamentarische (Mitgliedstaaten und Drittländer), Außenbeziehungen (Mitgliedstaaten, Drittländer, internationale Organisationen, europäische Bewegungen usw.), mit der Presse und der Öffentlichkeit (Stellenanfragen, Förderanträge, Appelle und Tätigkeiten zur Verteidigung der Menschenrechte usw.).

Die nächste, besonders große Serie enthält Dokumente betreffend die Beziehungen mit einigen politischen Organen des Europäischen Parlaments, wie das Kollegium der Quästoren, die parlamentarischen Ausschüsse und Delegationen, die Fraktionen, die Personalvertretung und die Gewerkschaften. Die letzte Serie bezieht sich insbesondere auf das Kabinett von Simone Veil, vor allem unter dem Aspekt seiner Organisation, seiner Funktionsweise und der Post (chronologisch abgelegt).

Sekretariat des Parlaments

PE1 P1 300/SECR

Diese Seriengruppe enthält Dokumente in Bezug auf die administrativen und rechtlichen Aufgaben des Kabinetts der Präsidentin, namentlich dessen Beziehungen mit dem Generalsekretariat, den verschiedenen Generaldirektionen und dem Juristischer Dienst. Die größte Serie betrifft die Beziehungen mit den folgenden Generaldirektionen: GD Ausschüsse und Delegationen, GD Verwaltung, Personal und Finanzen (insbesondere die Serien „Personalakten“, „Offene Stellen“, „Besetzung offener Stellen“, „Gebäude und Räumlichkeiten“ und „Protokoll“) sowie GD Forschung und Dokumentation. Die letzten drei Serien dieses Archivs betreffen die Beziehungen mit der Personalvertretung, den Gewerkschaften und schließlich mit den Fraktionssekretariaten.

Anhang

Im Anhang befinden sie zwei Serien, die sich erstens auf die Wahl zum Europäischen Parlament mittels allgemeiner unmittelbarer Wahl (PE1 P1 400/ANN1) und zweitens auf die europäische Integration (PE1 P1 410/ANN2) beziehen.

Reflexionen der Präsidenten des Europäischen Parlaments: Simone Veil

Im Frühjahr 1979 war ich Ministerin für Gesundheit und soziale Sicherheit, als Präsident Giscard d‘Estaing mich einige Monate vor der ersten Direktwahl zum Europäischen Parlament fragte, ob ich als Spitzenkandidatin antreten wolle. Ich habe diese Ehre ohne Zögern angenommen, da ich seit Kriegsende eine unbedingte Verfechterin des europäischen Aufbauwerks bin, das in meinen Augen das einzige Mittel ist, die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland zu besiegeln und einen Rückfall in die Dramen der Vergangenheit zu verhindern.

Nach dem sehr guten Ergebnis meiner Liste schlug Präsident Giscard d‘Estaing, der auf die Symbole der Versöhnung Wert legte und sehr wohl begriff, wofür eine ehemalige Deportierte stand, den anderen Regierungen vor, mir die Präsidentschaft des neuen Parlaments zu übertragen, womit ich niemals gerechnet hatte. So wurde ich am 17. Juli 1979 im zweiten Wahlgang mit absoluter Mehrheit zur Präsidentin der neuen Versammlung gewählt.

European Parliament President Simone VeilSimone Veil, Präsidentin des Europäischen Parlaments, während einer Plenarsitzung im Juli 1980 © Europäische Gemeinschaften 1980

Die Aufgabe, die nun vor mir lag, barg eine Reihe von Problemen. Zuerst einmal hatte sich die Art des Mandats der neuen Parlamentarier mit der allgemeinen und direkten Wahl des Parlaments geändert, agierten doch bis dahin die Mitglieder der Versammlung als Vertreter der nationalen Parlamente in zweiter Instanz. Nunmehr war die demokratische Motivation direkter. Darüber hinaus erwies sich die Geschäftsordnung des Parlaments als ungeeignet für die ihm inzwischen übertragene Aufgabe, vor allem im Bezug auf den Haushalt.

Hinzu kam ein geographisches Problem. Bis dato trat das Europäische Parlament zumeist in Luxemburg zusammen, wo übrigens die Mehrheit der Beamten ansässig war. In Straßburg verfügte es weder über einen eigenen Plenarsaal noch über Büros, und besetzte also monatlich eine Woche lang die Räumlichkeiten des Europarates, wobei alle erforderlichen Dokumente von Luxemburg herbeigeschafft wurden. Man kann gut verstehen, dass dieser „Wanderzirkus“ einigen Parlamentariern missfiel, und ich war gezwungen, das Obstruktionsgebaren mancher Kreise nicht ausufern zu lassen. Es dauerte Monate, bis ein neuer Modus Operandi bezüglich der Gewohnheiten gefunden wurde. Noch immer mussten wir einige Sitzungen in Luxemburg abhalten. Es bewegt mich auch heute noch, wenn ich daran denke, dass ich an eben diesem Ort den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat kurz vor seiner Ermordung empfangen hatte.

European Parliament President Simone VeilBesuch des ägyptischen Staatspräsidenten Anwar as-Sadat im Europäischen Parlament in Luxemburg © Europäische Gemeinschaften 1981 – Europäisches Parlament

Die Parlamentarier wünschten verständlicherweise, ihre neue Befugnis im Hinblick auf den Haushalt durchzusetzen. Doch wie sich zeigte, hatte der Haushaltsplan für 1980 die dem Parlament durch die Verträge auferlegte Obergrenze leicht überschritten. Weil es dabei aber um die Bekämpfung des Hungers in der Welt ging, erklärte ich ohne Zögern diesen Haushaltsplan für ordnungsgemäß angenommen. Sogleich erhob die französische Regierung Klage vor dem Gerichtshof, und es brauchte einige Zeit, um zwischen dem Parlament, dem Rat und den nationalen Regierungen, speziell der in Paris, zu einer Einigung zu gelangen.

Ich erinnere mich an die regelrechte Neugierde, mit der man damals dem Europäischen Parlament außerhalb der Gemeinschaft begegnete. Dieses Interesse wurde durch die Tatsache verstärkt, dass einer Frau die Präsidentschaft übertragen worden war, was zu jener Zeit noch für Befremden sorgte. Ich erlebte dies, als ich mich nach Lomé zur Unterzeichnung der Abkommen mit den Ländern Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans begab.

European Parliament President Simone Veil Besuch des Sekretärs der Kommunistischen Partei Chinas Chen Pixian im Europäischen Parlament in Straßburg © Europäische Gemeinschaften 1983 – Europäisches Parlament

Ich erinnere mich, dass ich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft stets sehr wohlwollend aufgenommen wurde, vor allem in den USA, in Kanada, in China und Japan. Soweit wie möglich versuchte ich, die ständigen Vertreter der Kommission an jedem meiner Besuche zu beteiligen. Im Verlauf meiner Präsidentschaft, die zweieinhalb Jahre dauerte, habe ich mich mühelos immer als überparteilich und als Vertreterin des gesamten Parlaments verstanden und zu verstehen gegeben.

Kurz gesagt, diese bisweilen schwierige, aber stets auch faszinierende Präsidentschaft bleibt die erfüllendste Zeit in meinem Leben. Ich denke mit Wehmut an diese Periode und die Jahre zurück, die ich bis zu meiner Rückkehr in die französische Regierung im Jahr 1993 im Parlament verbrachte.

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