Der Bestand von Klaus Hänsch


European Parliament President Klaus HänschPorträt von EP-Präsident Klaus Hänsch in seinem Büro © Europäische Union – Europäisches Parlament

„Die Union spielt ohne Zweifel nach wie vor eine maßgebliche Rolle bei der Bannung der bösen Geister des 20. Jahrhunderts; von noch unschätzbarerem Wert wird sie für uns jedoch bei der Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sein.“

Biografie

Klaus Hänsch wurde am 15. Dezember 1938 in Sprottau in Schlesien geboren, einer Region, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu Polen gehört. 1945 floh seine Familie mit ihm von Schlesien nach Flensburg in Schleswig-Holstein.

Er machte 1965 seinen Abschluss in Politikwissenschaft und promovierte 1969. Er war von 2002 bis 2003 Mitglied des Präsidiums des Europäischen Konvents über die Zukunft Europas. Hänsch vertrat das Europäische Parlament 2003 und 2004 bei der Regierungskonferenz für die Annahme des Vertrages über eine Verfassung für Europa.

Er verfügt über mehrere akademische Auszeichnungen: Die Universität Loughborough im Vereinigten Königreich und die Wirtschaftsuniversität Poznán in Polen, wo er auch Gastdozent war, haben ihm die Ehrendoktorwürde verliehen. Er ist Honorarprofessor an der Universität Duisburg.

Politische Ämter

•    seit 1964: Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD)
•    1968–1970: Herausgeber der Zeitschrift „Dokumente“ für übernationale Zusammenarbeit
•    1968–1970: Referent beim Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit
•    seit 1970: Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi
•    1970–1979: Pressereferent und ab 1977 Fachreferent beim nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister
•    1976–1994: Lehrbeauftragter an der Hochschule Duisburg
•    1979–2009: Mitglied des Europäischen Parlaments (SPD)
•    1979–1982: Mitglied des Ausschusses für Geschäftsordnung und Petitionen
•    1980–1982: Mitglied des Ausschusses für Außenwirtschaftsbeziehungen
•    1979–1992: Mitglied des politischen Ausschusses
•    1982–1994: Mitglied des institutionellen Ausschusses
•    1992–1994, 1997–2009: Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten
•    1981–1989: Obmann der Sozialdemokratischen Fraktion für Außenpolitik und Sicherheit
•    1987–1989: Vorsitzender der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.
•    1989–1994 und 1997–2002: Stellvertretender Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament (SPE)
•    1994–1997: Präsident des Europäischen Parlaments
•    seit 1997: Mitglied des Verwaltungsrats der Stiftung „Notre Europe“ in Paris
•    1998–2000: Vorsitzender der Mediationsgruppe für die Erweiterung des Flughafens Frankfurt
•    1997–2005: Präsident des Verwaltungsrats und der Generalversammlung des Zentrums für Europastudien (CEES) in Straßburg
•    seit 2000: Mitglied des Wissenschaftlichen Direktoriums des Instituts für Europäische Politik (IPE) in Berlin
•    seit 2005: Mitglied des Verwaltungsrats der École nationale d’administration (ENA) in Paris/Straßburg

Was sich im Archiv befindet

Das Archiv des Kabinetts von Klaus Hänsch (1994–1997) besteht aus über 700 Akten mit über 8 000 Dokumenten. Die Dokumente sind in Akten zu einzelnen während der Amtszeit des Präsidenten behandelten Verfahren geordnet, wobei die Ordnung die verschiedenen Tätigkeitsbereiche des Kabinetts des Präsidenten widerspiegelt.

Administrative und rechtliche Aufgaben

PE4 P1 A00/ADJU

Diese Serie enthält Dokumente betreffend die Beziehungen mit dem Sekretariat des Europäisches Parlaments, d. h. mit allen Generaldirektionen sowie dem Juristischen Dienst.

Politische Aufgaben: Interne Beziehungen

PE4 P1 B00/RINT

Diese Serie umfasst Serien zu den Beziehungen mit den verschiedenen politischen Organen des Parlaments, wie die Konferenz der Präsidenten, das Kollegium der Quästoren, die parlamentarischen Ausschüsse, usw.

Politische Aufgaben: Außenbeziehungen

PE4 P1 C00/REXT

Diese Serie betrifft die Tätigkeit des Präsidenten als Vertreter des Parlaments gegenüber der Außenwelt (Reden des Präsidenten, Öffentlichkeitsarbeit – Besuche, Treffen usw.) und die Beziehungen des Parlaments zu anderen Institutionen, Organen und Einrichtungen der Gemeinschaft. Zu seiner Aufgabe als Vertreter des Parlaments zählen auch die Beziehungen mit Mitgliedstaaten, Drittländern und internationalen Organisationen.

Schriftverkehr

PE4 P1 D00/COUR

Die letzte Serie enthält schließlich chronologisch nach eingehender und ausgehender Post geordneten Schriftverkehr.

Reflexionen der Präsidenten des Europäischen Parlaments: Klaus Hänsch

Das im Juni 1994 gewählte Europäische Parlament trat in einem neuen Europa zusammen. Die Mauer in Berlin war gefallen. Die Völker Mittel- und Osteuropas hatten sich selbst von der Diktatur des Kommunismus und der Vorherrschaft der Sowjetunion befreit. Der Eiserne Vorhang, der Europa vierzig Jahre lang geteilt hatte, war gefallen. Der Kalte Krieg zwischen den Blöcken in Europa war beendet. Nie zuvor in seiner Geschichte musste sich das Europäische Parlament auf ein so grundlegend verändertes politisches Umfeld einstellen.

An den Europawahlen 1994 hatten zum ersten Mal die Bürger der ehemaligen DDR teilgenommen. Es war für mich besonders bewegend, in meiner Antrittsrede Kolleginnen und Kollegen aus Ostdeutschland als frei gewählte Abgeordnete begrüßen zu können. Ein paar Monate später, im Januar 1995, konnte das Parlament auch die Abgeordneten aus den neuen Mitgliedstaaten Finnland, Schweden und Österreich begrüßen. Das war der erste Schritt zur Vereinigung ganz Europas.

European Parliament President Klaus HänschEP-Präsident Klaus Hänsch bei der Ankunft der Beobachter und MdEP für Schweden, Österreich und Finnland nach der Erweiterung von 1995 © Europäische Gemeinschaften 1995

Das Europäische Parlament war von 567 auf 626 Abgeordnete gewachsen. Es wurde nicht nur größer, sondern auch reicher an politischer Kultur, Erfahrung, Tradition. Die Integration der neuen Kollegen und Mitarbeiter gelang in kurzer Zeit. Das war eine große Leistung nicht nur der Fraktionen und Ausschüsse, sondern auch des Generalsekretariats des Parlaments.

Die Europäische Union hatte sich auf den Weg zu Verhandlungen über den Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten begeben. In deren Parlamenten fehlte es allerdings naturgemäß an Kenntnis und Verständnis für die Abläufe, Anforderungen und Schwierigkeiten des kommenden Beitrittsprozesses. Das Europäische Parlament musste ihnen helfen, ihre Rolle bei der Umsetzung des „acquis communautaire“ in das Recht ihrer Länder zu finden. Auf meine Initiative kamen zum ersten Mal in der Geschichte der europäischen Einigung alle Parlamentspräsidenten der Kandidatenstaaten im Europäischen Parlament zu einem offenen Meinungsaustausch zusammen. Wie wichtig das war, zeigte sich darin, dass diese Treffen bis zum Beginn der konkreten Beitrittsverhandlungen regelmäßig wiederholt wurden. Für die parlamentarische Begleitung und Absicherung der Vereinigung ganz Europas hat unser Parlament eine Vorreiterrolle eingenommen.

Wenige Monate vor der Europawahl war der Vertrag von Maastricht in Kraft getreten und hatte dem Europäischen Parlament erstmals echte Mitentscheidungsrechte vor allem im Bereich der Richtlinien und Verordnungen zur Vollendung des Binnenmarktes gebracht. Diese Rechte wurden nun wirksam. Es war der Beginn einer neuen Ära als ich im Namen des Parlaments die erste EG-Richtlinie unterschrieb, die im neuen Verfahren der Mitentscheidung angenommen worden war und anschließend als „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates“ im Amtsblatt veröffentlicht und in Kraft gesetzt wurde.

Durch die neuen Kompetenzen war aus dem Beratungsparlament ein Entscheidungsparlament geworden, aber seine Arbeitsmethoden und seine Darstellung in der Öffentlichkeit waren noch immer auf ein Parlament mit reinen Konsultationskompetenzen zugeschnitten. Wir standen also vor der Aufgabe, die Arbeitsmethoden, zum Beispiel den Ablauf der Debatten und Abstimmungen im Plenum, die Zusammenarbeit zwischen den Ausschüssen, die Organisation der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu reformieren. Das war ein schweres Stück Arbeit. Zwar traten zu Beginn fast alle Kolleginnen und Kollegen enthusiastisch für gründliche Reformen ein, aber mit jedem Schritt vom Wollen zum Tun sank die Reformbegeisterung. Ich bin heute noch Pauline Green und Wilfried Martens, dankbar, dass sie mich tatkräftig unterstützt und die Reformen in ihren murrenden Fraktionen durchgesetzt haben. Auch heute ist die Arbeitsweise des Parlaments wieder reformbedürftig.

European Parliament President Klaus Hänsch Seminar "Reform der Strukturfonds nach 2000". Abgebildet (von links nach rechts): Pauline Green, Klaus Hänsch, Arlene McCarthy © Europäische Gemeinschaften 1998 – Europäisches Parlament

Als Nachfolger für Jacques Delors, der nach zehnjähriger außerordentlich erfolgreicher Amtszeit als Präsident der Kommission Ende 1994 ausschied, schlugen die Staats- und Regierungschefs den Premierminister Luxemburgs, Jacques Santer, vor. Zu diesem Vorschlag mussten sie erstmals das Europäische Parlament offiziell konsultieren. Das war zwar nur eine Konsultation, aber alle Beteiligten wussten, dass jeder Kandidat gescheitert ist, der im Parlament ohne Mehrheit bleibt. Es war auch klar, dass Santer in einem solchen Fall sein Amt nicht antreten würde. Das Parlament hatte sich den Einstieg in die Mitentscheidung bei der Besetzung einer Spitzenposition in Europa erkämpft.

European Parliament President Klaus HänschWürdigung des scheidenden Kommissionspräsidenten Jacques Delors (links) durch EP-Präsident Klaus Hänsch (rechts) – feierliche Sitzung © Europäische Gemeinschaften 1995

Zum ersten Mal war vor der Einsetzung der designierten neuen EU-Kommission eine Vertrauensabstimmung im Europäischen Parlament erforderlich. Um diese Abstimmung vorzubereiten, musste sich das Parlament ein klares Bild von jedem einzelnen Kandidaten verschaffen. Das sollte durch öffentliche Anhörungen geschehen. Gegen den Widerstand vieler Regierungen und gegen das Zögern der Kommission konnte ich durchsetzen, dass vor der Vertrauensabstimmung im Plenum sich jeder Kandidat einzeln einer Anhörung in dem für sein Ressort zuständigen Fachausschuss des Parlaments stellen musste.

Eine Grundlage in den Verträgen gab es für dieses Verfahren nicht. Aus dem Coup von damals ist inzwischen ein gefestigtes Verfahren geworden, mit dem das Europäische Parlament bereits mehrfach seinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Kommission bewiesen hat. Mir zeigte dieser Erfolg, dass es für das Europäische Parlament wichtiger ist, seine Einflussmöglichkeiten bis in die letzte Nische zu nutzen, statt über fehlende Rechte zu jammern.

Eine Aktivität hat mir in meiner Amtszeit besondere Freude bereitet. Ich hatte in meiner Antrittsrede versprochen, in die Regionen der Mitgliedstaaten und, wenn gewünscht, auch in die Wahlkreise von Kolleginnen und Kollegen zu reisen. Ich erhielt vierzig Mal Gelegenheit, mein Versprechen zu erfüllen. Und siehe da: Die Unterstützung der Bürger für die Einigung Europas ist in den Regionen häufig größer als es manche politischen Manöver in den Hauptstädten vermuten lassen.

European Parliament President Klaus Hänsch